„Na, wie läufts“, frage ich Jens am Telefon. „Alles gut“, antwortet er mir. „Drei Kunden habe ich heute geschafft. Den vierten mache ich morgen. Das passt doch, oder?“ „Klar, mach Dir keine Hektik!“
Das war unser letztes Gespräch. Ich glaube, nein, ich hoffe, dass ich Ihn nie wiedersehe.
Jens hat letzten Montag neu in der Firma angefangen. Er sollte wöchentlich nach Italien fahren, so wie ich es seit mehr als zwölf Jahren mache. Italien ist lang, aber nicht mehr für uns. Wenn es mal bis nach Modena oder gar Bologna geht, ist das schon weit. Normal fahren wir nur noch in den Großraum Mailand, nach Brescia, Verona und rüber bis Treviso. Mir persönlich ist das recht so. Die Mitte und den Süden kenne ich von früher, da brauche ich nicht mehr unbedingt hin. So bleiben die Touren übersichtlich und bin meist Freitagabend wieder daheim. Erst Samstags zuhause ist selten, ein Wochenende draußen, noch seltener.
Beste Vorraussetzungen also für Jens. Seine erste Tour sollte ihn nach Mailand führen. Vier Abladestellen, der Auflieger war schon vorgeladen. Nur tanken musste er noch und anschließend auf mich warten. Er sollte mir hinterherfahren. Wir kamen gut vorwärts, der Berufsverkehr bei Frankfurt war schon Geschichte.
Unterhalb von Offenburg machten wir eine dreiviertel Stunde Pause. Ich fragte Ihn etwas aus. Wo er schon gefahren ist, ob er schonmal in der Schweiz oder Italien war, wie lange er eigentlich schon fährt. Auch um einen Eindruck von Ihm zu bekommen. Also ob er eventuell ein Schwätzer oder Großmaul ist, der schon überall war und alles kann. Aber nichts dergleichen. Ruhiger Eindruck, antwortete ehrlich. Die Schweiz ist Ihm völlig fremd, in Italien war er mal als Kind. Lange her.
In Weil am Rhein ging es runter von der Autobahn. Bei einer Spedition im Industriegebiet lassen wir unsere Zolldokumente erstellen. Der direkte Weg ist einfach. Autobahn runter, erste Ampelkreuzung gerade drüber, Kreisverkehr rechts und nach wenigen hundert Metern ist man schon da. Montag aber war Umleitung. Die war gut ausgeschildert, also auch kein Problem.
Dort nimmt man seine Lieferscheine und Frachtbriefe, geht ins Gebäude, gibt die einem Zolldeklaranten und wartet. Den Rest machen die.
Ist man dort fertig, steigt man wieder in den Lkw und fährt zum Zollhof. Nicht mal im Autobahn-Stau braucht man sich anzustellen. Die direkte Auffahrt führt direkt zum Zollhof. Dort stehen Leute von einem Wachdienst, die einen in die richtige Spur einweisen. Vorn stehen zwei Hochkabinen. In der ersten sitzt der deutsche Zoll, der das Transitpapier, auch T2 genannt, ausdruckt. Dreißig Meter weiter hat der Schweizer Zoll sein Domizil. Der eröffnet das Transitverfahren, nebenbei löst der Fahrer die Maut. Das geht alles vom Lkw aus, nicht mal aussteigen muss man.
Kurz nach vier waren wir in der Schweiz. Mit Tempo 80 ging es durch Basel, danach waren 85 angesagt. Jens brav mit Abstand hinter mir. Bei Erstfeld ging es von der Autobahn, zum obligatorischen Abstecher über das Schwerverkehrszentrum. Ich erklärte Ihm über Funk den Sinn und auch Unsinn dieser Maßnahme. Er sollte ja Bescheid wissen.
Kurz vor Bellinzona war unser Arbeitstag zu Ende. Wir unterhielten uns noch eine halbe Stunde, über Fußball, Familie, private Dinge, nichts bewegendes. Nebenbei füllten wir den Laufzettel für den Zoll aus. Große Erklärungen sind da nicht nötig, die Felder wo was geschrieben werden muss, sind selbsterklärend. Dann ging es in die Koje.
Dienstagfrüh um fünf klingelte der Wecker. Schnelle Morgenwäsche, Zähne putzen, los. Eine Stunde später waren wir in Chiasso. Um diese Zeit ist der Zollhof noch übersichtlich leer. Auch hier weisen einem Leute vom Wachdienst ein. Ich finde das gut. Ohne die wäre das Chaos programmiert.
Wir nahmen unsere diversen Unterlagen, füllten die LSVA aus und bewegten uns zum Zollgebäude. Auch hier erklärte ich Ihm alles Schritt für Schritt. An welche Schalter er muss und wo er was abzugeben hat. Das die einzigen Zettel die er wieder bekommt, zwei Durchschläge vom Laufzettel sind und eine Kopie der bezahlten Schweizer Maut. Und uns noch zwei Hochkabinen von Italien trennen.
Klingt das kompliziert? Nein. Spätestens beim dritten Mal ist das Routine. Außerdem hat jeder einen Mund zum fragen.
Kurz hinter Como liegt die erste Raststätte auf italienischen Gebiet. Da hielten wir nochmal, tranken einen Kaffee. Caffe americano. Ich zahlte. Nochmal alles kurz erklärt und gesagt, er soll mich anrufen, falls was unklar wäre. Wollte er machen. Dann trennten sich unsere Wege.
Den ganzen Dienstag hörte ich nichts von Jens. Gut lief es also. Ich machte mir auch keine Gedanken, warum auch. Der Mann ist schließlich knapp über vierzig.
Am Abend rief ich Ihn trotzdem mal an. Ein wenig neugierig war ich ja schon. Drei Kunden abgeladen, den letzten am nächsten Vormittag. Alles gut, er hatte ja Zeit.
Von meiner Disponentin wusste ich bereits, dass er eine komplette Ladung in der Nähe von Piacenza laden sollte. Für einen Ort in der Wetterau. Termin Freitagvormittag. Alles gut.
Freitagmittag, ich fast auf den Weg ins Wochenende. Das Handy klingelt. Meine bereits erwähnte Disponentin erzählt mir, dass der Neue den Lkw auf einem Rasthof in der Nähe der Firma abgestellt hätte. Die Schlüssel lägen auf einem der Hinterreifen. Das hätte er per Mail geschrieben. Sonst nichts weiter.
Sie würde mich dahin fahren, um das Teil zu holen. Natürlich sollte ich auch noch vorladen. Frühes Wochenende ade.
Eine halbe Stunde später waren wir am Lkw. Die Schlüssel lagen tatsächlich auf einem Reifen. Der Auflieger war leer, die Seitenbretter darauf verstreut. Sämtliche Gurte lagen zerknüllt auf einem Haufen. Meine Laune war auf dem Tiefpunkt.
Montag. Mein Chef rief mich an. Ob der Auflieger denn wirklich leer war. Der Kunde in der Wetterau würde auf seine Ladung warten. Klar, bejahte ich. Abgesehen von dem Chaos darauf. Damit war das Gespräch beendet. Zumindest vorerst.
Später erfuhr ich, dass Jens nicht zur Ladestelle gefahren ist. Nachdem er mit entladen fertig war, ist er leer nach Hause. Durch drei Länder, über eintausend Kilometer. Völlig beknackt der Typ.
Kunden sauer, Disponenten sauer, ich stinke sauer, Chef ober stinke sauer.
Klar das ich versuchte, Ihn anzurufen. Ebenso klar, dass er mich weg drückte. Hatte er mit meinem Arbeitgeber vorher auch schon getan. Nicht mal einen Arsch in der Hose, sich zu erklären. So schrieb ich Ihm das auch.
Als Antwort kam später, ihm würden Herzrythmusstörungen plagen. Deshalb wollte er schnell nach Hause. Zumindest im Ausreden erfinden, ist er gut.
Auf meinen Einwand, dass er meinen Auflieger hätte nehmen können, da ich Mittwochnachmittag bereits fertig war und warum er den Lkw nicht bis zur Firma gefahren hat, kam nur nichtssagendes Zeug. Habe ich auch nicht anders erwartet.
Was bleibt ist mein Erstaunen darüber, wie abgebrüht, kaltschnäuzig und frech Leute sein können. Und auch feige. Was ist do schlimm daran zu sagen, dass der Job nichts für einen ist? Fernverkehr bedeutet halt, mehrere Tage weg zu sein. Wenn man nach einer Woche merkt, oh, dass ist nix für mich, erzählt man das seinem Noch-Chef, räumt die Karre wieder aus und fertig. Zumal mein Arbeitgeber, wohlgemerkt seit über zwanzig Jahren, der letzte wäre, der das nicht verstehen würde.
Aber auf diese Art in den Sack zu hauen, ist scheiße. Mehr fällt mir dazu nicht ein.