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Europa außer Kontrolle

Vorhin in einer heutigen Pressemitteilung der EU-Kommission gelesen:

In diesem Jahr hat die Kommission eine wichtige Rolle dabei gespielt, sowohl den freien Personen- als auch den freien Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union zu gewährleisten.

So hat sie eine Reihe von Leitlinien zu „Green Lanes1“ angenommen, unter anderem ihre Mitteilung vom Oktober, in der das Konzept der „Green Lanes“ so weiterentwickelt wurde, dass es nicht nur den Straßengüterverkehr, sondern auch den Schienen-, Wasser- und Luftfrachtverkehr abdeckt. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass wichtige Lieferketten weiterhin funktionieren und jegliche Unterbrechung von Frachtverkehr und Logistik in der EU während der zweiten Welle der Pandemie vermieden wird.

Das beeindruckende an dieser Mitteilung ist, wie gut wichtige Lieferketten wirklich funktionieren. Sieht man ja derzeit zwischen England und Frankreich2. Da stehen tausende Lkw samt Fahrer auf Autobahnen vor Dover und Folkestone im Stau oder werden gleich auf das Flugfeld des stillgelegten Airports Manston zwischengeparkt. Das sieht so aus:

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Quelle: YouTube.com (Nik Mitchell)

Mittlerweile dürften es einige hundert Lkw mehr sein, die dort parken müssen. Schon ein Wahnsinn der da abgeht.
Ich selbst war ja letzte Woche noch in England und bin am Donnerstagnachmittag mit dem Euroshuttle von Folkestone nach Calais gefahren. Da gab es noch keine Einschränkungen oder Sperrungen, trotzdem dauerte das ganze Prozedere wie „im Stau stehen„, die Abfertigung und das „auf den Zug warten“ fast sieben Stunden. Aber scheiß drauf, da wußte ich, dass es, wenn auch langsam, vorwärts geht und ich irgendwann am späten Nachmittag oder Abend in Frankreich bin.

Motorway M 1 England
M 1 Richtung Norden

Das passiert den Kollegen dort jetzt aber nicht. Die stehen da wie blöd, ohne wirklich zu wissen, wann es weiter geht. Dazu noch kurz vor Weihnachten, Tage die die weitaus meisten zu Hause verbringen möchten. Eigentlich ganz normal. Anders wie die Situation dort. Die ist einfach nur abnormal.

Stand jetzt, Dienstagabend, weiß niemand, was genau passiert. Vielleicht fahren die Fähren und Züge ab Mittwochmorgen wieder, allerdings ist wohl ein negativer Coronatest nötig, um rüber aufs Festland zu kommen. Bedeutet, ohne diesen geht es trotzdem nicht weiter. Bis alle Fahrer durchgetestet sind, dürfte es eh Tage dauern.

Noch im Frühjahr hingen an mehreren Autobahnbrücken Schilder oder Banner, an und durch denen irgendwelche Menschen ihre Dankbarkeit gegenüber Lkw-Fahrern ausdrücken wollten. Schön. Nur doof, dass ein Teil von diesen Fahrern die damals beklatscht wurden, jetzt südöstlich von Londern steht und nicht mehr wie eine Nummer oder Spielball der Franzosen sind.
Echt guter Job von Emmanuel. Der zeigt Europa schon jetzt, was ab Januar auf der Insel westlich von Frankreich abgehen könnte. Und zwar regelmäßig. Nämlich dann, wenn ab übernächste Woche der „No-Deal-Brexit“ droht. Danach schaut es ja momentan aus.

Der Stillstand vor dem Ärmelkanal traf die Fahrer völlig unvorbereitet. Mehr noch, die sind zu Geiseln geworden, um die Brexit-Verhandlungen im Sinne Frankreichs und der EU voranzubringen. Denn die Grenzen zu England komplett zu schließen, ist nicht verhältnismäßig.
Eine Pandemie zu missbrauchen, um zu zeigen wer der Stärkere ist. Das ist das peinlichste was Europa machen kann. Wie im Kindergarten. Denn wenn mit Gesundheitsargumenten Politik gemacht wird, untergräbt das jede Glaubwürdigkeit.

Was bleibt, ist Weihnachten auf einem Flugfeld. Mir tun die Lkw-Fahrer leid, die den ganzen Scheiß ausbaden müssen. Schande über Europa.

Anmerkungen:
1Es gibt Leitlinien der EU-Kommission, um den freien Warenverkehr in der gesamten EU trotz der aktuellen Pandemie zu gewährleisten. Damit soll sichergestellt werden, dass die EU-weiten Lieferketten weiterhin funktionieren. Die Übergangsstellen zwischen EU-Ländern werden als „Green Lane“-Übergangsstellen bezeichnet.
Diese „Green Lane“-Übergangsstellen sollen für alle Frachtfahrzeuge offen sein – unabhängig von den transportierten Waren. Zudem sollte der Grenzübertritt einschließlich aller Überprüfungen und Gesundheitskontrollen nicht länger als 15 Minuten dauern
2Dieser Satz ist ironisch gemeint.

6 Comments

  1. -thh
    -thh 23/12/2020

    „Das beeindruckende an dieser Mitteilung ist, wie gut wichtige Lieferketten wirklich funktionieren. Sieht man ja derzeit zwischen England und Frankreich.“

    Die Kommission schreibt über den Personen- und Warenverkehr in der Europäischen Union. Das betrifft daher nicht Lieferketten zwischen der EU und Drittstaaten wie Großbritannien, insbesondere nicht wenige Tage vor dem Wirksamwerden des Austritts und mitten in einer Pandemie. Eher unwahrscheinlich, dass es in Zukunft schneller gehen wird, wenn umfangreiche Personen- und Zollkontrollen stattfinden müssen, da EU-Außengrenze.

    • maik
      maik 23/12/2020

      Das beeindruckende an dieser Mitteilung ist, wie gut wichtige Lieferketten wirklich funktionieren.

      Der Satz ist ironisch gemeint. Keine Ahnung, ob das so ankommt. Habe es mal nachträglich gekennzeichnet.

      Großbritannien ist zwar am 31. Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Allerdings gelten weiter die gleichen Regelungen wie gegenüber EU-Mitgliedstaaten. Es wird in Europa also faktisch so behandelt, als handle es sich nach wie vor um einen EU-Mitgliedsstaat. Zumindest bis nächsten Donnerstag, 24.00 Uhr. So mein Kenntnisstand. Aber ich lasse mich gerne berichtigen.

  2. Rudolph
    Rudolph 23/12/2020

    Wie sollen diese Tests durchgeführt werden? Geht eigentlich nur als PCR-Schnelltest. Da dauert es bis zum Ergebnis zwei, drei Stunden. Ist aber unzuverlässig und teuer. Wer zahlt diese Tests? Es müssen schließlich mehrere tausend oder zehntausend Menschen allein in Dover oder Folkestone getestet werden. Wo werden diese Tests durchgeführt? In Dover, in Folkestone oder auf dem ehemaligen Flughafen? Was für eine Farce.

  3. Alwin
    Alwin 23/12/2020

    Ironie bei der Sache: Folkestone liegt in der Grafschaft Kent, also da, wo die neue, aggressivere Covid-Variante zuerst entdeckt wurde. Da dort die großen Warenumschlagpltze sind, gebe sich doch bitte keiner der Illusion hin, dass das Tierchen sich nicht längst schon auf dem Festland rumtreibt. UK abzuschotten hat also keinerlei Sinn.

    Merry Christmas, wherever you are.

  4. Jürgen
    Jürgen 29/12/2020

    Natürlich ist das ärgerlich und erst mal unverständlich, wenn plötzlich ein Einreisestopp aufgrund einer Krankheit, hier diese angeblich sich leichter übertragende Version des SarsCov2-Virus, verhängt wird. Wenn dem so ist und man Herrn Boris Johnson glaubt bezüglich der leichteren Übertragbarkeit, ist es verständlich, wenn hier von Seiten der französischen Regierung ein klares Stop für allen Verkehr von der Insel auf das Festland ausgesprochen wird.

    Für diese Entscheidung dürften auf französischer Seite mehrere Gründe eine Rolle gespielt haben:
    1. Frankreich scheint die Ausbreitung und Kontrolle des Virus gerade in den Griff zu bekommen (anders Deutschland). Hier jetzt noch eine leichter übertragbare Variante in das Land zu bekommen (wahrscheinlich noch massiver als es bisher schon passiert sein wird), dürfte für Frankreich die Situation wieder schwerer machen.
    2. Möglicherweise ist man in Frankreich zu dem Schluss gekommen, dass man im Januar/Februar 2020 früher bezüglich einer Einschränkung des Reiseverkehrs von/nach China hätte handeln müssen. In dieser Situation, Boris Johnson hat die Gefährlichkeit der fraglichen neuen Version ausgiebig betont, nicht oder möglicherweise zu spät zu handeln, wäre bei erneut steigenden Fallzahlen der Regierung unter Macron und ihm wahrscheinlich furchtbar auf die Füße gefallen. Der Mann hat ja noch mit den Auswirkungen der Gelbwestenproteste, Bahnreform, Polizeigesetzreform, Rassismus gegenüber der eigenen Bevölkerung, Islamismus, Antisemitismus zu kämpfen.
    3. Und klar, Herr Macron wird wahrscheinlich die Probleme mit dem Stopp des Grenzverkehrs auf britischer Seite bedacht haben und hat gegenüber Boris Johnson ein kleines Zeichen in Richtung Brexit-Abkommen gesetzt .

    Mir persönlich ist es lieber, dass hier neben Frankreich auch andere Staaten erst mal dem Verkehr mit Großbritannien einen Riegel vorgeschoben haben, das aber allein aus Sicht der Seuchenbekämpfung.
    Das man dann wieder die LKW-Fahrer sprichwörtlich im Straßengraben stehen lässt, sollte einem eigentlich durchbürokratisierten Staat wie Großbritannien nicht passieren. Da kam wieder die (m.A.n.) durchorganisierte verwaltungstechnische Unzuständigkeit, Aufgabenpingpong und schlichtes Desinteresse zum Tragen.

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