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Schlagwort: Ausbeutung

Brandbrief an die Bundesregierung…

…im Namen derer, die Europa Tag für Tag am Laufen halten.

Von Udo Skoppeck

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Udo Skoppeck. Ich fahre seit 1980 Lkw, habe die Branche durchlebt, getragen, gelitten – und seit vielen Jahren versuche ich aufzuklären, zu verbinden und zu kämpfen.
Für bessere Bedingungen, für Gerechtigkeit, für Würde. Nicht für mich – sondern für all jene, die täglich unterwegs sind und ohne die unser aller Alltag schlicht nicht funktionieren würde.

Am Donnerstag vor Ostern 2025 fand eine Aktion von Faire Mobilität Stuttgart statt, gemeinsam mit der katholischen Betriebsseelsorge und dem Dekanat – an den Rastplätzen Wunnenstein und Sindelfinger Wald.

Dort sprachen sie mit rund sechzig Fahrern aus Europa und Asien: Deutschland, der Slowakei, den Niederlanden, Belgien, Polen, Rumänien, Litauen, Ungarn, Usbekistan, Tadschikistan, Spanien, Serbien, Weißrussland, Bosnien-Herzegowina sowie Portugal.

Was die Fahrer zu erzählen haben ist erschütternd. Was sie sagen, ist nicht neu. Es ist das, was ich seit Jahrzehnten beobachte und gleichermaßen anprangere.
Was jeder weiß. Was trotzdem kaum jemand ändern will.

Ein deutscher Fahrer sagte: „Ich fahre nur noch nachts. Tagsüber ist es Chaos. Kein Überholverbot wird mehr beachtet, kein Respekt – und viel zu viel Raserei.“

Ein anderer berichtete von Belgien, wo Arbeitgeber längst wissen: Wer betrügt, wird kontrolliert. Wer trickst, wird sanktioniert. Da finden echte Kontrollen statt. In Deutschland? Fehlanzeige.

Ein Weißrusse, unterwegs im polnischen Lkw, ist fünf Monate am Stück auf Tour. Rumänen schlafen seit Wochen in ihren Kabinen, verdienen zwischen 70 und 85 Euro am Tag – brutto, versteht sich.
Einer sagte: „Meine Firma hat in Frankreich eine Strafe kassiert – aber sie hat es geschafft, drumherum zu kommen.“
So läuft das. Jeden Tag.

lkw aus rumänien stehen auf einem parkplatz
Zwei Lkw einer rumänischen Spedition stehen auf einem Rasthof

Ein Fahrer aus Bosnien nennt das Beratungsangebot eine „Fata Morgana“ – weil er längst nicht mehr glaubt, dass sich noch irgendwer ernsthaft für ihn interessiert. Und er hat recht.
Er sagte auch: „Wenn ich nicht fahre, verdiene ich nichts.
Kein Urlaubsgeld, keine Lohnfortzahlung, keine Absicherung – und jetzt kommen Fahrer aus Nepal nach Slowenien, die noch weniger bekommen. Das ist der Wettbewerb in Europa. Auf dem Rücken der Menschen.

Ich frage Sie: Wie viele Beweise brauchen Sie noch?
Wie viele Anhörungen im Verkehrsausschuss, Gespräche, Reportagen, Studien, Petitionen?
Wie lange schauen Sie noch weg?

Sie wissen, dass diese Branche seit Jahren ausgehöhlt wird – von Dumping, von Subunternehmerketten, von gesetzlichem Stillstand.
Sie wissen, dass Sozialdumping auf Europas Autobahnen längst ein System ist.
Sie wissen, dass Menschenwürde nicht nur im Grundgesetz steht, sondern auch auf Rastplätzen gelten muss.

Und Sie wissen, dass all das nicht erst seit gestern passiert.
Die Bundesregierung kann nicht mehr sagen: „Das war uns nicht bekannt.“

Ich fordere Sie auf, Verantwortung zu übernehmen. Die Gesetze dazu sind längst geschaffen. Nicht irgendwann. Nicht auf EU-Ebene. Nicht, wenn es ihnen passt. Sondern jetzt.

Handeln Sie: Setzen Sie effektive und unangekündigte Kontrollen auf deutschen Straßen durch – bei Auftraggebern, bei Firmen, bei Subunternehmen.

Schaffen Sie gesetzliche Mindeststandards für Arbeitszeit, Unterkunft und Bezahlung – durchsetzbar und flächendeckend.

Sorgen Sie für faire Löhne und soziale Absicherung – unabhängig vom Herkunftsland.

Verhindern Sie, dass Menschen wie Verschleißteile behandelt werden.

Ich schreibe diesen Brief nicht, weil ich naiv bin. Ich schreibe ihn, weil ich wütend bin. Weil ich das Elend seit Jahrzehnten sehe. Und weil ich weiß, dass politischer Wille genau das ist, was fehlt.

Reden Sie nicht länger von Verkehrswende, wenn die, die sie täglich stemmen, ignoriert und ausgebeutet werden.
Reden Sie nicht von Gerechtigkeit, wenn der Transport von Billigstanbietern den Vorrang bekommt – auf Kosten von Mensch und Moral.

Sie haben die Macht, das zu ändern. Und wenn Sie das nicht tun – dann sind Sie mitverantwortlich.

In diesem Sinne:
Im Namen derer, die keine Stimme haben –
und im Auftrag meines Gewissens,

Udo Skoppeck
Berufskraftfahrer seit 1980
Initiator, Aktivist, Vorsitzender von AidT e. V.
und einer von vielen, die nicht mehr schweigen.

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Der letzte macht den Motor aus

Von Udo Skoppeck

Ein Feuilleton über Lkw-Fahrer, Ausbeutung und die Illusion der grünen Wende

Wenn irgendwo in Deutschland ein Lkw-Fahrer um vier Uhr morgens den Motor startet, denkt kaum jemand darüber nach, welche Geschichte hinter diesem Moment steckt.
Der Brummi rollt, die Waren kommen an, der Supermarkt ist voll – das System funktioniert. Doch was ist mit den Menschen hinter dem Steuer?

Die unsichtbaren Lastenträger der Wirtschaft

Lkw-Fahrer sind nicht die gefeierten Stars der Wirtschaft – und das s(w)ollen sie wohl auch nicht sein. Schließlich läuft das System auch dann reibungslos, wenn sie kaum jemand wahrnimmt.
Die Regale füllen sich wie von Geisterhand, die Industrieproduktion bleibt stabil, und der Onlinehandel boomt. Wer braucht da schon Gesichter hinter dem Lenkrad?

Während in Talkshows über die Zukunft der Mobilität debattiert wird, verbringen Fahrer ihre Nächte auf staubigen Rastplätzen, schlafen in ihren Kabinen und ernähren sich von Tankstellen-Sandwiches.
Fern der Heimat, mit Arbeitszeiten, die kein Büroangestellter jemals akzeptieren würde – aber wer würde sich darum kümmern?

Wichtig ist nur, dass der Transport billig bleibt und die Lieferkette funktioniert. Und wenn es um Löhne geht?
Nun ja, man kann ja immer noch billigeres Personal aus fernen Ländern holen, das sich nicht so anstellt. Lkw-Fahrer, die in der Realität aber systematisch ausgebeutet wird.

Die Abwärtsspirale begann nicht gestern. Schon vor über einem Jahrzehnt habe ich, gemeinsam mit Gleichgesinnten, Alarm geschlagen. Während Politiker über Verkehrsprojekte philosophierten, rollten osteuropäische Speditionen mit Dumpinglöhnen über die Autobahnen, angetrieben von einer Logistikbranche, die immer günstigere Preise forderte.
Speditionen, die Fahrer aus Drittstaaten für Hungerlöhne durch Europa schickten – wochen-, manchmal monatelang in den Kabinen lebend. Und was tat die Politik? Sie schaute zu.

CO₂-Preis: Die moderne Ablasszahlung der Politik

Nun, in Zeiten der Klimadebatte, tritt ein neuer Akteur auf die Bühne: der CO₂-Preis. Offiziell soll er Anreize schaffen, klimafreundlicher zu wirtschaften.
In der Praxis trifft er aber vor allem diejenigen, die ohnehin kaum noch Luft zum Atmen haben.

Symbolbild der letzte macht den Motor aus

Höhere Dieselpreise verteuern die Transporte, doch statt die Mehrkosten fair auf alle zu verteilen, werden sie auf die Fahrer und Speditionen abgewälzt.
Kleine Unternehmen gehen kaputt, während Großkonzerne mit politischem Rückenwind weiter expandieren.

Die Ironie dabei? Diesel-Lkw werden verteufelt, doch Alternativen fehlen. E-Lkw? Eine nette Idee, aber in der Praxis kaum einsetzbar für den Fernverkehr. Wasserstoff? Noch nicht marktreif.
Während die Politik Luftschlösser baut, stehen Fahrer vor der harten Realität: höhere Kosten, gleichbleibende Löhne, schlechtere Bedingungen.

Die Grünen feiern sich für ihre Klimapolitik, während auf den Rastplätzen Europas Fahrer aus ärmeren Ländern in ihren Kabinen hausen, weil sich die Übernachtung im Hotel nicht lohnt. Nachhaltigkeit? Für wen?

Engagement gegen die Windmühlen

Seit Jahren kämpfe ich mit Kollegen, Aktivisten und Unterstützern gegen diese Entwicklungen. Wir haben demonstriert, Petitionen gestartet, Gespräche mit Politikern geführt. Manchmal wurden wir gehört, oft ignoriert.
Die wahren Machtverhältnisse liegen nicht in den Parlamenten, sondern in den Chefetagen der Logistikkonzerne und bei den Lobbyisten in Brüssel.

Doch Aufgeben ist keine Option. Wenn sich eines gezeigt hat, dann, dass Veränderung nur durch Beharrlichkeit kommt. Wir haben es geschafft, das Thema Ausbeutung in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Aber es reicht nicht, nur darüber zu reden – es braucht politische Konsequenzen.
Faire Löhne, klare Regeln, effektive Kontrollen. Und eine Verkehrswende, die nicht auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die ohnehin schon den härtesten Job haben.

Ein System am Abgrund

Transportiert wird immer, auf die eine oder andere Weise. Die Frage ist nicht ob, sondern wie und zu welchem Preis – und wer ihn zahlt.

Seit Jahren kämpfen wir gegen Dumpinglöhne, Sozialdumping und die Ausbeutung von Fahrern, aber die grundlegenden Probleme bleiben bestehen oder verschärfen sich sogar.
Die CO₂-Bepreisung und die steigenden Dieselpreise treffen nicht die Konzerne, sondern die, die ohnehin schon am Limit arbeiten.

Kleine und mittelständische Speditionen sterben, während große Logistikkonzerne mit politischen Seilschaften im Rücken weiterwachsen.
Und die Fahrer? Sie werden durch noch billigere Arbeitskräfte ersetzt, aus Drittstaaten angeworben und unter Bedingungen gehalten, die kaum jemand für menschenwürdig hält.

Was kann man noch tun?

1. Politischer Druck und öffentlicher Diskurs

Die Wahrheit ist: Ohne politischen Druck ändert sich nichts. Wir müssen weiter laut sein – in den Medien, in der Öffentlichkeit, in den politischen Gremien.
Es reicht nicht, dass das Thema mal in einem Bericht auftaucht. Es muss dauerhaft auf der Agenda bleiben. Ein EU-weiter Mindestlohn für Fahrer, verpflichtende Sozialstandards und eine bessere Kontrolle des Kabotageverkehrs sind längst überfällig.

2. Klare Verantwortlichkeiten und Sanktionen

Das Problem ist nicht der osteuropäische Fahrer, der für einen Hungerlohn fährt. Das Problem sind die Auftraggeber, die sich um soziale Verantwortung drücken.
Großkonzerne lagern die Verantwortung aus und tun so, als hätten sie mit den Arbeitsbedingungen auf der Straße nichts zu tun. Das muss sich ändern. Wer von Dumping profitiert, muss zur Rechenschaft gezogen werden – finanziell und juristisch.

3. Technologie und faire Transformation statt blinder CO₂-Steuern

Eine echte Verkehrswende kann nicht bedeuten, dass die Preise steigen und die Schwächsten zahlen. Es braucht echte Alternativen: Infrastruktur für alternative Antriebe, praktikable Konzepte für den Güterverkehr, eine Stärkung der Bahn ohne die Vernachlässigung des Lkw-Verkehrs.
Wer einfach nur verteuert, ohne Lösungen anzubieten, betreibt Politik auf Kosten derer, die keine Lobby haben.

4. Fahrer stärken – nicht ersetzen

Es gibt immer mehr Ideen, Fahrer durch autonomes Fahren zu ersetzen, statt ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Doch bis selbstfahrende Lkw wirklich eine flächendeckende Alternative sind, wird es noch Jahrzehnte dauern.
In der Zwischenzeit bräuchte es bessere Löhne, vernünftige Arbeitszeiten und menschenwürdige Bedingungen für Fahrer. Aber das kostet Geld – und daran scheitert es.

Fazit: Weiterkämpfen oder zuschauen?

Wir stehen vor der Entscheidung: Nehmen wir diese Ungerechtigkeit einfach hin, oder kämpfen wir weiter? Die Politik wird nicht von allein aktiv.
Große Konzerne werden nicht plötzlich freiwillig fairer. Aber wenn die Betroffenen selbst nicht mehr aufstehen, dann passiert gar nichts.

Also bleibt nur eins: Laut bleiben, unbequem sein und weiter Druck machen. Denn wenn sich nichts ändert, dann zahlen am Ende alle – nur eben nicht die, die am meisten profitieren. 

4 Kommentare

Links und rechts der (Daten-) autobahn

Stoppt die Anarchie auf zwei Rädern? Tja, nur schade das nicht mehr Radfahrer diese Problematik erkennen. Denn das wäre zumindest ein Ansatz, um „Kampfradler“ besser in den Griff zu bekommen.
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Was ist denn nun los? Da wird ein Mobilitäts-Kompromiss, denn was anderes ist das EU-Mobilitätspaket nicht, fünf Jahre lang mühsam ausgehandelt, schon wird es nicht nur von osteuropäischen Ländern, sondern auch von Verkehrskommissarin Adina Valean in Frage gestellt.
Ein abstruses Argument von Gegnern dieses Paketes ist der Umweltschutz. Die vorgesehene regelmäßige Rückkehrpflicht des Fahrers an seinen Wohnort b.z.w. den Standort des Lkw, würde dem Klima schaden. Vom unverhältnissmäßigen Aufwand in den betroffenen Firmen und der Unwirtschaftlichkeit ganz zu schweigen.

Hä? Was sind das für fadenscheinige Begründungen? Hier werden doch nur wieder osteuropäische und asiatische Fahrer den Interessen von Lobbyisten, Großtransporteuren und Logistikern geopfert. Aber so ist das eben in einer Union. Da kann jedes noch so kleine Minimitgliedsland seine Vorstellungen und Entscheidungen durchsetzen. Mag legitim sein. Aber nicht sozial.
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Apropo Union. Die EU-Kommission ist gegen eine Verlängerung der Mautbefreiung für Lkw mit CNG- oder LNG-Antrieb in Deutschland. Na dann mal Gratulation an alle, die sich solch einen Laster aus Kostengründen für viel Geld gekauft haben.
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Der Kampf gegen städtischen Lkw-Verkehr. Wie hier in Hamm. Dabei ist es doch relativ einfach: Große Logistiker, egal ob die DHL, Amazon, Dachser, Hermes oder Rhenus heißen, wollen und brauchen Lkw. Da sollen die auch Parkplätze bereitstellen. Natürlich mit anständigen Sanitaireinrichtungen. Problem gelöst.
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Ende Juli starb Andreas Schubert, einer der bekannteren Lkw-Fahrer Deutschlands. Jetzt hat seine Witwe die Spedition verkauft. Käufer ist die Spedition Weber aus Waakirchen.
Also alles normal. Trotzdem gibt es in sozialen Netzwerken, also Facebook, Diskussionen über das „wie“ und „warum“ des Verkaufs. Und das ist nicht normal. Denn das sind wieder völlig unnötige Beiträge über Dinge, die keinen von uns etwas angehen.
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Nicht sozial geht es auch auf den Warteplätzen bei Ikea zu. Hat man letzten Sonntag im belgischen Genk wieder festgestellt. Bei einer umfassenden Kontrolle im Kampf gegen Menschenhandel wurden 33 Lkw untersucht, die alle aus osteuropäischen Ländern wie Litauen, Polen und Rumänien stammten. Die Fahrer selbst kamen aus Weißrussland und der Ukraine, also Ländern außerhalb der Europäischen Union.

Es stellte sich heraus, dass allgemeine Hygienebedingungen schlecht waren und es kaum sanitäre Einrichtungen für die Fahrer gab. Gekocht und gegessen wurde auf einem Anhänger.
Aber ich glaube ja, die machen das alle freiwillig. So ein bissel Campingfeeling mag doch irgendwie jeder. Daheim in ihrem öden Osten gibt es so eine Kultur nicht, also machen sich die Männer auf in den Westen. Denn biwakieren auf einem Ikea-Parkplatz, mit morgendlichen abkoten in einem angenzenden Gebüsch? Sicher der Traum vieler Ukrainer.
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Philippinische Lkw-Fahrer hätten in Afrika und in Saudi-Arabien gearbeitet, wo die Bedingungen ebenfalls schlecht waren, aber zumindest Dusch- und Toiletteneinrichtungen hatten. Hier in Europa ist es schlimmer, also gerade da, wo sie es am wenigsten erwartet haben.
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