Samstagabend, kurz nach 18 Uhr auf der A 45 bei Gießen: Es ist mehr Verkehr als wochentags im Berufsverkehr.
Wo wollen die alle hin?
Um diese Zeit sitzt man eigentlich zu hause bei der Family und lässt es sich gutgehen.
So dachte ich zumindest…
Samstagabend, kurz nach 18 Uhr auf der A 45 bei Gießen: Es ist mehr Verkehr als wochentags im Berufsverkehr.
Wo wollen die alle hin?
Um diese Zeit sitzt man eigentlich zu hause bei der Family und lässt es sich gutgehen.
So dachte ich zumindest…
Von Udo Skoppeck
Die systemische Entwürdigung alltäglicher Bedürfnisse, wie der Toilettengang, spiegelt in Wahrheit ein viel tiefer sitzendes Problem wider – nämlich das systematische Zurückweichen des Staates aus seiner Verantwortung für grundlegende Daseinsvorsorge.
Sanitäre Anlagen sind kein Luxus, kein Konsumgut und kein Bonus. Sie sind eine Grundbedingung für Würde, Gesundheit und Menschlichkeit.
Die Tatsache, dass diese Einrichtungen an Autobahnen fast ausschließlich in privatwirtschaftlicher Hand sind – etwa durch Sanifair – und mit einem Geschäftsmodell operieren, das auf Notdurft Profite schlägt, zeigt, wie sehr wir uns als Gesellschaft von dieser Selbstverständlichkeit entfernt haben.
Die Ironie, dass man sich durch einen Konsumtempel zwängen muss, um überhaupt auf Toilette gehen zu dürfen und dann durch Gutschein-Mechanismen suggeriert wird, man bekäme ja „etwas zurück“, ist nichts anderes als ein Feigenblatt.
Denn in Wahrheit zahlen wir mit jedem Besuch doppelt, mit Geld und mit Menschenwürde. Und wenn man diese „Gutscheine“ nicht direkt einlösen kann, sondern sie verfallen, dann ist das kein Service, sondern ein psychologischer Trick im Konsumkorsett.
Zurück mit dieser Verantwortung in öffentliche Hand. Toiletten an Autobahnen, in Bahnhöfen, in Städten, diese müssen in staatlicher Trägerschaft sein, kostenfrei und sauber.
Das ist kein überzogener Wunsch, sondern eine staatliche Grundpflicht im Sinne des Allgemeinwohls.
Die Finanzierung? Möglich und gerecht, z.B. über eine Umlage aus der Lkw-Maut (die ohnehin zweckgebunden für Infrastruktur verwendet werden soll), ergänzt durch eine Beteiligung der Bundesländer oder sogar durch gezielte Fördermittel aus dem Gesundheits- oder Arbeitsministerium.
Es geht dabei nicht nur um Lkw-Fahrer, sondern um alle Reisenden, Familien, Pendler. Also um die Menschen, die im öffentlichen Raum unterwegs sind.
Der Vorteil eines staatlichen Modells:
Ein Staat, der seine Toiletten privatisiert, hat irgendwo ganz grundsätzlich vergessen, was seine Aufgabe ist.
Der Link zur Petition im deutschen Bundestag:
https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2025/_07/_01/Petition_183324.html
Warum ich diese Petition gestartet habe? Hier eine notwendige Erklärung aufgrund der vielen Einwände dagegen.
Immer wieder werde ich gefragt, warum ich mich so energisch für eine staatlich garantierte Grundversorgung an Autobahnen einsetze, insbesondere mit Blick auf kostenfreie sanitäre Einrichtungen, bessere Versorgung für Berufskraftfahrer und einen Rückbau privater Monopolstrukturen.
Einige sagen, es gäbe Wichtigeres, andere halten es für unrealistisch oder pauschal. Deshalb möchte ich hier klar und verständlich darlegen, worum es mir eigentlich geht – und warum es weit über das Thema „Toilettengebühr“ hinausgeht.
Früher gehörten Autobahnraststätten und ihre Infrastruktur zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Staat war verantwortlich für eine grundlegende Versorgung der Menschen auf Reisen und im Transportgewerbe, sauber, sicher und möglichst kostenlos. Das galt als selbstverständlich.
Mit der Privatisierung von Tank & Rast 1998 wurde dieser Grundsatz aufgegeben. Die Verantwortung wurde an ein privatwirtschaftliches Unternehmen übertragen – inklusive fast aller Tankstellen, Restaurants und Sanitäreinrichtungen an den deutschen Autobahnen. Seitdem zählen nicht mehr das Gemeinwohl oder Versorgungssicherheit, sondern Umsatz und Rendite.
Heute gehört Tank & Rast zu 90 % ausländischen Investoren: kanadische Pensionsfonds, chinesische Staatsfonds, Kapitalgesellschaften aus Abu Dhabi oder die Allianz.
Dieses Konsortium verwaltet über 400 Rastanlagen in Deutschland und besitzt damit de facto ein privates Monopol über ein öffentliches Gut.
Was das heißt? Preise, Öffnungszeiten und Qualität richten sich nach privatwirtschaftlichen Interessen. Wer pinkeln muss, zahlt. Wer günstig essen will, hat Pech.
Und wer als Berufskraftfahrer stundenlang keinen Stellplatz mit Dusche findet, erlebt täglich, wie menschenverachtend das System geworden ist.
Gerade Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer trifft diese Entwicklung mit voller Härte. Sie sind täglich unterwegs, halten unsere Wirtschaft am Laufen, arbeiten unter hohem Druck – und werden dabei von einem System behandelt, das ihnen die einfachsten Bedürfnisse wie Hygiene, Pausen oder Würde abspricht.
Ein kostenpflichtiges WC ist keine Nebensache, wenn man es täglich mehrfach braucht. Eine Dusche für 7 Euro ist kein Luxus, sondern eine hygienische Notwendigkeit.
Und fehlende, überfüllte Parkplätze bedeuten: Fahrer schlafen auf dem Standstreifen, sind erschöpft, gefährden sich und andere – und bekommen noch Bußgelder dafür.
Es geht also nicht darum, ob Toiletten 70 Cent kosten oder ob man sich bei Sanifair einen Kaffee holen kann. Es geht um die grundsätzliche Frage: Ist Infrastruktur, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft essenziell ist, wirklich ein Spielball internationaler Kapitalinteressen?
Ich sage: Nein. Der Staat muss die Verantwortung wieder übernehmen – sei es durch eigene Betreiber, durch klare gesetzliche Vorgaben oder durch staatlich subventionierte Grundversorgung.
Andere Länder zeigen, dass es geht: In Slowenien, Italien oder Frankreich sind kostenfreie oder staatlich geregelte Rastanlagen Teil der Infrastrukturpolitik.
Meine Petition richtet sich nicht nur an Verkehrspolitiker, sondern an eine Gesellschaft, die nicht länger zuschauen darf, wie essentielle Dienste privatisiert, verteuert und verschlechtert werden – und wie diejenigen, die am härtesten arbeiten, am meisten darunter leiden.
Ich fordere kein Luxuspaket. Nein, ich fordere einen Mindeststandard an Versorgung, den man einem entwickelten, wohlhabenden Land wie Deutschland eigentlich selbstverständlich zuschreiben sollte.
Und ich fordere, dass Berufskraftfahrer, wie auch Familien, Pendler oder Reisende, nicht länger wie lästige Bittsteller behandelt werden.
Fazit: Diese Petition ist ein Appell an den gesunden Menschenverstand
Ich lade alle ein, sich mit den Hintergründen auseinanderzusetzen und nicht vorschnell über „WC-Gebühren“ zu diskutieren.
Diese Petition steht exemplarisch für eine Entwicklung, die sich durch viele Bereiche zieht: Staatliche Infrastruktur wird privatisiert, die Versorgung verschlechtert sich, die Kosten steigen – und am Ende zahlt die Allgemeinheit doppelt: an der Kasse und mit dem Vertrauen in die Politik.
Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass es dafür Mut braucht, politisch und gesellschaftlich. Aber genau deswegen schreibe ich diese Zeilen.
Nicht um zu klagen, sondern um anzupacken.
Es ist Zeit, dass wir wieder über Gemeinwohl reden – und nicht nur über Gewinnmaximierung.
19 KommentareFernfahrer spielen eine entscheidende Rolle in unserer globalisierten Welt. Sie sorgen dafür, dass Waren pünktlich und sicher von einem Ort zum anderen gelangen. Doch der Alltag auf der Straße kann herausfordernd sein.
Kommentare geschlossenStichtag ist der 19. August 2025, also in gut elf Wochen. Bis dahin müssen alle Lkw die international, im Amtsdeutsch grenzüberschreitend, unterwegs sind, mit einem Smart-Tachograph der Generation 2, Version 2 umgerüstet werden.
Ausnahmen gibt es keine. Aber hier im Video wird das alles erklärt:
Bei dem Lkw den ich fahre, sollte das letzte Woche passieren. Der Termin stand seit vier Wochen fest. Passte auch gut, denn ich hatte Urlaub. Nur die Scanianiederlassung hat es, nun ja, verbockt, vergeigt, vermasselt.
Da steht das Teil eine Woche bei denen in der Werkstatt und der Tachograph kann doch nicht gewechselt werden, weil vergessen wurde, irgendein elektronisches Bauteil zu bestellen, welches bis Freitag auch nicht geliefert werden konnte.
Schon doof. Nee, nicht weil der Termin zur Umstellung näher rückt, dass passt schon. Da ist ja noch ein bissel Zeit für. Nur, Freitagvormittag fahr ich normal mit dem Lkw nach Hause.
Kann ich an dem betreffenden Wochenende aber nicht, weil der Lkw ja nochmal in die Werkstatt muss, um den Tacho zu wechseln. Das ist nicht wirklich doll.
Von Udo Skoppeck
Die EU-Kommission hat Frankreich offiziell mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht – weil das Land es verbietet, dass Fahrer von kommerziell betriebenen Lieferwagen, im Volksmund Polensprinter genannt, in ihren Fahrzeugen übernachten.
Ein nationales Gesetz, dass dem Schutz der Fahrer dient, soll nun fallen. Frankreich sagt klar, niemand soll gezwungen sein, die Nacht im Laderaum eines Kastenwagens zu verbringen – ohne Heizung, ohne Toilette, ohne Sicherheit.
Die EU-Kommission ist der Meinung, dass wäre Wettbewerbsverzerrung. Man könne nicht hinnehmen, dass Frankreich strengere Vorschriften anwendet als andere Länder.
Aber mal ehrlich: Was sagt das über unsere Werte in Europa aus, wenn das Grundrecht auf würdige Ruhezeiten als „Wettbewerbsnachteil“ gilt?
Der Transportsektor läuft längst am Limit und statt soziale Mindeststandards zu stärken, wird nun ein Land verklagt, das genau das versucht?
Währenddessen werden die Fahrer in ihren Fahrzeugen gehalten wie Tiere in einem Käfig. Teilweise monatelang unterwegs ohne Unterkunft, ohne Perspektive, für ein paar Kröten.
Der Begriff „Polensprinter“ ist längst nur noch ein Deckmantel, denn gefahren wird von Bulgaren, Ukrainern, Rumänen. Billig, ausgebeutet, rechtlich kaum geschützt.
Wer trägt die Verantwortung? Der Auftraggeber, der ausbeutet? Oder das Land, welches es zulässt? Vielleicht sollten wir alle mal kurz innehalten und darüber nachdenken.
Denn auch die Polizisten, die das täglich sehen, sind oft machtlos, die Entscheider sitzen weiter oben.
Das sind Geschäftsmodelle, wo der Mensch auf der Strecke bleibt. Es geht um Würde, um Menschlichkeit, um Verantwortung.
6 KommentareVon Udo Skoppeck
Was muss passieren, damit wir wieder stolz auf unseren Beruf sein können?
Ich schreibe diesen Brief nicht als Vereinsvorsitzender, nicht als Sprecher irgendeiner Organisation. Ich schreibe ihn als Mensch.
Als jemand, der seit 1980 auf den Straßen unterwegs war, als Berufskraftfahrer mit Leib und Seele, der seinen Job geliebt hat und heute kaum wiedererkennt, was aus diesem Beruf geworden ist. Ich schreibe ihn als jemand, der krank ist.
Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch müde. Ich bin nicht der Einzige. Ich bin nur einer von vielen.
In den letzten Monaten habe ich mich viel damit auseinander gesetzt. Ich musste sortieren, was mit mir passiert, was mit unserer Branche passiert.
Dabei komme ich immer wieder an den gleichen Punkt: Wenn wir nicht endlich ehrlich werden, wird dieser Beruf, der einmal ein Lebensgefühl war, endgültig zu einem austauschbaren Job. Zu einem Abstellgleis für die, die keine Alternative haben.
Ich erinnere mich noch gut an die ersten Jahre. Da war Respekt. Da war Kollegialität. Da war Stolz.
Heute sprechen viele nur noch von Druck, von Überwachung, von Angst.
Ich höre es in unzähligen Gesprächen mit Fahrern: Dass sie ständig unter Beobachtung stehen. Das sie kaum noch Pausen haben, in denen sie wirklich zur Ruhe kommen.
Das sie ersetzt werden, sobald sie krank werden oder einen eigenen Gedanken äußern.
Ich höre Geschichten von Menschen, die ihr ganzes Leben für diesen Beruf gegeben haben – und dann auf einmal nicht mehr gebraucht werden.
Es geht nicht mehr um Vertrauen, sondern nur noch um Kontrolle. Nicht mehr um Loyalität, sondern nur noch um Effizienz.
Da draußen, auf unseren Straßen, ist ein Klima entstanden, das krank macht. Fahrerinnen und Fahrer fühlen sich wie eine Ware, nicht wie ein Teil des Ganzen.
Viele sagen mir, dass sie das Vertrauen in ihre Arbeitgeber verloren haben, weil Gespräche durch Ansagen ersetzt wurden, weil aus Rücksicht ein „Friss oder stirb“ geworden ist.
Andere berichten von Kunden, die sich benehmen, als wären wir Menschen zweiter Klasse. Wer sich wehrt, wer einfach mal fragt: „Geht’s noch?“, riskiert sofort Konsequenzen.
Manche verlieren ihren Job – nicht wegen Unfähigkeit, sondern weil sie aufgestanden sind.
Der Ton in unserer Branche ist rauer geworden – nicht nur auf der Straße, sondern auch hinter den Kulissen.
Es wird schnell gekündigt, selten erklärt. Vieles passiert per WhatsApp. Persönliche Worte? Fehlanzeige.
Stattdessen immer mehr Bürokratie, Schulungen, die uns eher lähmen als weiterbringen und Systeme, die alles speichern, aber niemandem zuhören.
Ich frage mich oft: Was ist das für ein Umgang? Was ist das für ein Menschenbild? Wann haben wir verlernt, uns gegenseitig mit Würde zu begegnen? Wo ist die Menschlichkeit geblieben?
Was wir brauchen, ist keine neue App, kein neues Modul, keine Imagekampagne von oben. Was wir brauchen, ist Ehrlichkeit – miteinander, übereinander, und vor allem mit uns selbst.
Wir müssen den Mut haben, über das zu sprechen, was schiefläuft. Nicht, um Schuldige zu suchen.
Sondern um gemeinsam einen Weg zu finden, wie wir diesen Beruf wieder zu dem machen können, was er einmal war: Eine Aufgabe mit Verantwortung, mit Stolz, mit Rückgrat.
Wir brauchen keine Bewunderung, kein Schulterklopfen. Aber wir brauchen Respekt. Von den Menschen, denen wir täglich begegnen. Von denen, die mit uns arbeiten.
Von denen, die über uns entscheiden.
Wir brauchen Unternehmen, die wieder begreifen, dass Fahrer Menschen sind. Keine Nummern. Keine austauschbaren Objekte. Menschen mit Familien, mit Sorgen, mit Hoffnungen.
Wir brauchen auch Kolleginnen und Kollegen, die wieder füreinander einstehen, statt sich in den Ellenbogen-Wettbewerb hineintreiben zu lassen. Nur gemeinsam wird sich etwas bewegen.
Ich habe keine Patentlösung. Aber ich weiß, dass Schweigen keine Option mehr ist. Wenn wir diese Branche verändern wollen, müssen wir den Anfang machen.
Mit Worten, die ehrlich sind. Mit Geschichten, die gehört werden. Und mit dem festen Willen, nicht mehr hinzunehmen, was uns krank macht.
Ich glaube noch immer an diesen Beruf. Ich glaube daran, dass wir es besser machen können.
Aber dafür müssen wir bereit sein, alte Muster zu durchbrechen. Nicht morgen. Nicht irgendwann. Sondern jetzt.
Und ja – es gibt sie, die positiven Ausnahmen. Es gibt Unternehmer, die sich kümmern, die zuhören, die respektvoll mit ihren Fahrerinnen und Fahrern umgehen.
Es gibt Disponenten, die noch persönlich anrufen, die helfen, statt zu drohen. Es gibt Kunden, die sich bedanken, Raststätten, die willkommen heißen, Kolleginnen und Kollegen, die füreinander da sind. All diesen Menschen gilt mein besonderer Respekt.
Sie zeigen, dass es auch anders geht – und sie machen Hoffnung, dass Veränderung möglich ist. Auf sie sollten wir bauen.
Udo Skoppeck
Berufskraftfahrer seit 1980
Gründer von AidT e.V
Es ist mal wieder der fünfte eines Monats. Und an diesem fragt „Gut gebrüllt“, wie denn von anderer Leute Blogger der Tag so war. Das nennt sich dann „Was machst Du eigentlich den ganzen Tag„.?
Oder eben in Kurzform „WmDedgT„. Hier ist, zum neunten Mal – joa mei, wie die Zeit vergeht – meine Ausgabe:
00.01 Uhr, seit zwei Stunden bin ich unterwegs. Das in der Nacht fahren ist angenehm, besonders jetzt nach den Feiertagen. Auch weil um diese Zeit kaum Kurzurlauber oder Wochendausflügler unterwegs sind.
Und für mich viel angenehmer, wie in aller früh gegen drei oder vier losfahren zu müssen. Müde werde ich erst, wenn ich irgendwann um kurz vor zwei Feierabend mache.
01.34 Uhr, Feierabend an der A9 zwischen Nürnberg und Ingolstadt. Es lief top. Jetzt noch ne schnelle Wäsche am Kanister, fix Zähne putzen und ab in die Koje. Den Wecker im Handy stelle ich auf halb zehn.
Kurz vor neun, ein menschliches Bedürfnis quält. Ich krabbel aus der Koje, zieh mich an und eile zum Parkplatzklo. Da drin stinkt es wie Ulle, fürs pieseln reicht es aber.
Danach wieder Kanisterwäsche am Lkw und noch ein wenig mit einem Kollegen quatschen.
10.35 Uhr, neun Stunden Pause sind rum. Ich stelle den Tacho auf Arbeitszeit, lass den Motor an, und mach ne kurze Abfahrtskontrolle.
10.42 Uhr, Abfahrt. Die Autobahn ist ziemlich leer. Zwanzig Minuten später höre ich im Verkehrsfunk wieso. Irgendwo hinter mir ist eine Vollsperrung.
Tja nun, fährt mir wenigstens keiner vor den Füßen rum. Zumal, ab Ingolstadt ist Dauerregen.
12.58 Uhr, mein Pflichtstop am Irschenberg. Denn ohne ein Brötchen mit Leberkäs geht gar nix. Und für später noch ne Butterbrezel. Außerdem reicht es immer für fünfzehn Minuten Pause.
13.14 Uhr, weiter geht’s.
13.48 Uhr, Tankstopp in Kufstein. Beide Behälter für knapp tausend Euro gefüllt. Hilft ja nüscht.
15.09 Uhr, Brenner. Es wird Zeit für die halbe Stunde Pause. Die nutze ich zum duschen.
15.41 Uhr, weiter geht’s. Drei Minuten später bin ich in Südtirol.
19.34 Uhr, Feierabend im Industriegebiet eines Ortes östlich von Mantova. Bis zu meinem ersten Entladekunden sind es keine dreihundert Meter. Passt, kann ich bis kurz vor acht morgen früh Pause machen.
Jetzt noch eine Kleinigkeit essen, anschließend Kanisterwäsche, diesen Beitrag schreiben und ab in die Koje…
…im Namen derer, die Europa Tag für Tag am Laufen halten.
Von Udo Skoppeck
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Udo Skoppeck. Ich fahre seit 1980 Lkw, habe die Branche durchlebt, getragen, gelitten – und seit vielen Jahren versuche ich aufzuklären, zu verbinden und zu kämpfen.
Für bessere Bedingungen, für Gerechtigkeit, für Würde. Nicht für mich – sondern für all jene, die täglich unterwegs sind und ohne die unser aller Alltag schlicht nicht funktionieren würde.
Am Donnerstag vor Ostern 2025 fand eine Aktion von Faire Mobilität Stuttgart statt, gemeinsam mit der katholischen Betriebsseelsorge und dem Dekanat – an den Rastplätzen Wunnenstein und Sindelfinger Wald.
Dort sprachen sie mit rund sechzig Fahrern aus Europa und Asien: Deutschland, der Slowakei, den Niederlanden, Belgien, Polen, Rumänien, Litauen, Ungarn, Usbekistan, Tadschikistan, Spanien, Serbien, Weißrussland, Bosnien-Herzegowina sowie Portugal.
Was die Fahrer zu erzählen haben ist erschütternd. Was sie sagen, ist nicht neu. Es ist das, was ich seit Jahrzehnten beobachte und gleichermaßen anprangere.
Was jeder weiß. Was trotzdem kaum jemand ändern will.
Ein deutscher Fahrer sagte: „Ich fahre nur noch nachts. Tagsüber ist es Chaos. Kein Überholverbot wird mehr beachtet, kein Respekt – und viel zu viel Raserei.“
Ein anderer berichtete von Belgien, wo Arbeitgeber längst wissen: Wer betrügt, wird kontrolliert. Wer trickst, wird sanktioniert. Da finden echte Kontrollen statt. In Deutschland? Fehlanzeige.
Ein Weißrusse, unterwegs im polnischen Lkw, ist fünf Monate am Stück auf Tour. Rumänen schlafen seit Wochen in ihren Kabinen, verdienen zwischen 70 und 85 Euro am Tag – brutto, versteht sich.
Einer sagte: „Meine Firma hat in Frankreich eine Strafe kassiert – aber sie hat es geschafft, drumherum zu kommen.“
So läuft das. Jeden Tag.
Ein Fahrer aus Bosnien nennt das Beratungsangebot eine „Fata Morgana“ – weil er längst nicht mehr glaubt, dass sich noch irgendwer ernsthaft für ihn interessiert. Und er hat recht.
Er sagte auch: „Wenn ich nicht fahre, verdiene ich nichts.“
Kein Urlaubsgeld, keine Lohnfortzahlung, keine Absicherung – und jetzt kommen Fahrer aus Nepal nach Slowenien, die noch weniger bekommen. Das ist der Wettbewerb in Europa. Auf dem Rücken der Menschen.
Ich frage Sie: Wie viele Beweise brauchen Sie noch?
Wie viele Anhörungen im Verkehrsausschuss, Gespräche, Reportagen, Studien, Petitionen?
Wie lange schauen Sie noch weg?
Sie wissen, dass diese Branche seit Jahren ausgehöhlt wird – von Dumping, von Subunternehmerketten, von gesetzlichem Stillstand.
Sie wissen, dass Sozialdumping auf Europas Autobahnen längst ein System ist.
Sie wissen, dass Menschenwürde nicht nur im Grundgesetz steht, sondern auch auf Rastplätzen gelten muss.
Und Sie wissen, dass all das nicht erst seit gestern passiert.
Die Bundesregierung kann nicht mehr sagen: „Das war uns nicht bekannt.“
Ich fordere Sie auf, Verantwortung zu übernehmen. Die Gesetze dazu sind längst geschaffen. Nicht irgendwann. Nicht auf EU-Ebene. Nicht, wenn es ihnen passt. Sondern jetzt.
Handeln Sie: Setzen Sie effektive und unangekündigte Kontrollen auf deutschen Straßen durch – bei Auftraggebern, bei Firmen, bei Subunternehmen.
Schaffen Sie gesetzliche Mindeststandards für Arbeitszeit, Unterkunft und Bezahlung – durchsetzbar und flächendeckend.
Sorgen Sie für faire Löhne und soziale Absicherung – unabhängig vom Herkunftsland.
Verhindern Sie, dass Menschen wie Verschleißteile behandelt werden.
Ich schreibe diesen Brief nicht, weil ich naiv bin. Ich schreibe ihn, weil ich wütend bin. Weil ich das Elend seit Jahrzehnten sehe. Und weil ich weiß, dass politischer Wille genau das ist, was fehlt.
Reden Sie nicht länger von Verkehrswende, wenn die, die sie täglich stemmen, ignoriert und ausgebeutet werden.
Reden Sie nicht von Gerechtigkeit, wenn der Transport von Billigstanbietern den Vorrang bekommt – auf Kosten von Mensch und Moral.
Sie haben die Macht, das zu ändern. Und wenn Sie das nicht tun – dann sind Sie mitverantwortlich.
In diesem Sinne:
Im Namen derer, die keine Stimme haben –
und im Auftrag meines Gewissens,
Udo Skoppeck
Berufskraftfahrer seit 1980
Initiator, Aktivist, Vorsitzender von AidT e. V.
und einer von vielen, die nicht mehr schweigen.
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