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Der tote Winkel ist kein statisches Problem – sondern ein situatives Risiko

Von Udo Skoppeck

„Es gibt ihn doch gar nicht mehr, den toten Winkel – oder?“

Das ist der Satz, an dem man schon merkt, wie verkürzt und falsch heute über Verkehrssicherheit gesprochen wird. Denn der tote Winkel ist nicht verschwunden – er ist nur nicht mehr sichtbar.
Weil er nicht nur im Spiegel entsteht, sondern in Köpfen, in Bewegungen, in Wettersituationen und in Sekundenbruchteilen.

Der tote Winkel – eine Begriffskritik

Allein der Begriff „toter Winkel“ ist schon irreführend. Er klingt technisch, abgegrenzt, fast harmlos – als wäre es ein fester, begrenzter Bereich irgendwo rechts unten neben dem Fahrzeug. Ein dunkler Fleck, den man einfach „wegdigitalisieren“ kann.

ansicht aus dem inneren eines lkw, mit sicht über die beifahrerseite nach außen - stichpunkt toter winkel

Aber die Realität ist anders. Der tote Winkel wandert – je nach Blickrichtung, Lichteinfall, Beladung, Fahrzeugmodell, Witterung.
Er vergrößert sich durch Stress, Ablenkung, schlechte Sicht oder fehlerhafte Einschätzung. Er betrifft beide Seiten: Fahrer wie Radfahrer und Fußgänger, Technik wie Mensch.

Und vor allem: Er ist nicht nur ein optisches Problem, sondern ein kognitives.

Warum Technik allein nicht reicht

Es gibt Kameras, 360°-Sensorik, Warnsysteme, Spiegel in jeder Ecke. Aber all das kann nur unterstützen – nicht erkennen, nicht handeln, nicht entscheiden. Technik sieht, aber sie versteht nicht.

Nur der Mensch kann abwägen, verlangsamen, reagieren, notfalls abbrechen.

Ein Fahrer kann mit 6 Spiegeln und 3 Kameras trotzdem jemanden übersehen – weil er abgelenkt war, weil eine Spiegelheizung ausgefallen ist, weil der Radfahrer sich in einem Schatten bewegt hat oder weil ein Schild den Blick versperrte.

Dynamik des Straßenraums

Was unterschätzt wird: Der Straßenraum lebt. Ein statischer Testaufbau zeigt nicht, wie es im Alltag aussieht. Dort gibt es: 

  • Wetterverhältnisse, die Spiegel und Kameras blenden oder verschmutzen
  • Städtebau mit Hecken, Pollern, Werbetafeln und schrägen Einfahrten
  • Unübersichtliche Kreuzungen, bei denen sich mehrere Risikozonen überlagern
  • Verhaltensunsicherheit von Fußgängern und Radfahrern, etwa bei grünem Licht, aber nicht freier Sicht
  • Gegenseitige Erwartungsfehler, die gefährlich werden, wenn der eine den anderen nicht „sieht“

Der tote Winkel ist also kein „technisches Problem“ – sondern ein komplexer, situationsabhängiger Zustand, der immer dann gefährlich wird, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen.

Was bedeutet das für die Argumentation?

Wer behauptet, „den toten Winkel gibt es nicht mehr“, ignoriert genau diese Vielschichtigkeit. Er macht aus einem lebendigen Risiko ein lineares Technikthema – und verlagert die Verantwortung. Das kann und darf nicht sein.

Wir brauchen eine neue Sprache für diese Problematik. Mehr Bewusstsein, dass Risiko aus vielen kleinen, oft harmlos wirkenden Faktoren entsteht und eine Sichtweise, die Verkehr als Zusammenspiel versteht, nicht als Aneinanderreihung von Vorschriften. 

Fazit – oder: Der tote Winkel ist da, wo der Mensch fehlt

Der tote Winkel ist dort, wo Technik versagt. Wo Aufmerksamkeit fehlt.

  • Wo keine Zeit bleibt zum Nachdenken
  • Wo ein Kind im Schatten steht
  • Wo ein Erwachsener glaubt, er wird gesehen
  • Und vor allem dort, wo wir einander nicht mehr wahrnehmen

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WmDedgT 5.6.25

Es ist mal wieder der fünfte eines Monats. Und an diesem fragt „Gut gebrüllt“, wie denn von anderer Leute Blogger der Tag so war. Das nennt sich dann „Was machst Du eigentlich den ganzen Tag„.? Oder eben in Kurzform „WmDedgT„.
Hier ist, zum zehnten Mal – joa mei, Jubiläum – meine Ausgabe
:

04.40 Uhr, die Weckfunktion vom Handy weckt mich. Na ja, hilft ja nüscht. Der Tag wird lang. Ich krabbel aus der Koje, suche meine Klamotten zusammen. Nebenbei stelle ich den Tacho auf Arbeitszeit und den Motor an. Der Auflieger braucht Luft.
Immerhin ist es schon hell. Das macht das frühe Aufstehen ein bissel erträglicher.

04.48 Uhr, pieseln ins Gras, danach Morgenwäsche am Kanister. Während ich Zähne putze, lauf ich ne Runde um den Lkw.
Plane ganz, Reifen haben Luft, Tankdeckel da wo die sein sollen, Sattelkupplung zu, Beleuchtung funktioniert. Zum Schluss noch einen Blick in den Auflieger. Auch da ist noch alles an seinem Platz. Abfahrtskontrolle erledigt.

04.57 Uhr, das Nachtfahrverbot in Tirol ist fast vorbei. Ich darf starten. Auf der Autobahn schon Lkw an Lkw.
Viele sind so blöd wie ich und rammeln in aller früh los. Dieser Job ist nicht unbedingt gut fürs Hirn.

05.06 Uhr, erste Abfahrt gehts schon wieder runter. Ich muss tanken, wie meist in Kufstein.
Um die Zeit ist hier wenig los. Nach zehn Minuten sind beide Dieseltanks und der AdBlue-Behälter voll.

05.26 Uhr, durch die Grenzkontrolle bei Kiefersfelden. Auch hier geht es zügig, die Polizisten beachten mich wie immer nicht.
Wir Lkw-Fahrer sind nicht deren Ziel. Oft gucken die nicht mal von ihrem Handy auf. Mir soll es recht sein.

05. 46 Uhr, Inntaldreieck. Die A8 ist zwar auch kein Traum, aber das beknackte Überholverbot ist vorbei. Bis zum Irschenberg darf ich diese osteuropäischen Ökoschleicher überholen. Dann beginnt ein neuer Abschnitt. Wenn es dumm läuft, bis Holledau.
Heute aber, der frühen Zeit geschuldet, ist ab kurz hinter Weyarn wieder freie Fahrt angesagt.

09.19 Uhr, Autohof Geiselwind. Dreiviertel Stunde Pause. Der Parkplatz da ist zwar krumm und schief, aber egal.
Ich gehe duschen und in die dortige Metzgerei. Da ist mir der Platz in Schräglage sprichwörtlich wurscht.

11.50 Uhr, ich bin bei meiner ersten Abladestelle in der Nähe von Aschaffenburg. Der Kunde bekommt 14 Kisten. Als ich die Firma sehe, denke ich, meine Fresse, große Bude, dass kann dauern.
Aber nix da. Am längsten hat die Anmeldung gedauert. Entladen und der anschließende Papierkram war fix erledigt. Und die Leute da alle freundlich. Muss ja mal erwähnt werden.

14.23 Uhr, zweiter Besteller, ein Stahlhandel in Osthessen. Der bekommt 19 Bunde mit Stabstahl. Dort sagt man mir, ich wäre zu früh. Genau einen ganzen Tag. Der Liefertermin wurde auf Freitag verlegt und außerdem wäre vierzehn Uhr eh Annahmeschluss.
Ich sage, dass ich von Freitag nix wusste, wirklich, ist nicht mal gelogen, und laut Google die Firma bis 16 Uhr geöffnet hat. Auf irgendwas muss man sich ja verlassen müssen.

Dann wieder die üblichen Diskussionen, von mir, ob nicht doch abgeladen werden könnte, von den Frauen im Büro, oh, dass können wir nicht entscheiden. Und wir können nicht immer Ausnahmen machen. Und so weiter. Hab ich vollstes Verständnis für.
Aber manchmal denke ich mir, Alter, was machst Du hier eigentlich? Diskutieren, nur damit ich Freitag sechs Stunden früher zuhause bin? Na ja, am Ende wird doch entladen. Geht doch. Aber erst muss gelabert werden.

17.56 Uhr, ich bin in der Firma für die ich fahre. Hier am Lager geht noch eine Kiste runter. Nach fünf Minuten ist das erledigt.
Danach bin ich fertsch fur heute. Jetzt noch eine Kleinigkeit essen, diesen Beitrag schreiben, dabei ein Bierchen schlabbern und dann irgendwann in die Koje…

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Kostet ein Lkw mehr als er nutzt?

Von Udo Skoppeck

Die Bedeutung des Lkw für unsere Wirtschaft ist unbestritten: Er liefert Waren, Rohstoffe, Maschinen, Lebensmittel – kurz gesagt, alles, was unser tägliches Leben möglich macht.
Doch hinter jedem Lkw auf der Straße steht ein komplexes Geflecht aus Kosten, Nutzen, Verantwortung und Abhängigkeiten.

Ein moderner Lkw mit Auflieger kostet in der Anschaffung rund +/-150.000 Euro. Hinzu kommt der Fahrerlohn plus Lohnnebenkosten. Doch das ist erst der Anfang.
Im Betrieb fallen zahlreiche weitere Kosten an: Diesel schlägt schnell mit mehreren zehntausend Euro jährlich zu Buche.

AdBlue, Mautgebühren, Reifen, Wartung, Reparaturen, Waschanlagen – alles summiert sich. Und all diese Ausgaben unterliegen der Besteuerung: Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer, Versicherungssteuer, Lohnsteuer, Sozialabgaben, Kfz-Steuer und Gewerbesteuer.

ein blauer lkw daf steht auf dem gelände einer tankstelle

Die Spedition selbst muss darüber hinaus eine Vielzahl an Versicherungen tragen – nicht nur für den Fuhrpark, sondern auch für Transportgüter, Mitarbeiter, Haftungsrisiken, Rechtsstreitigkeiten und Ausfälle.
Pflichtversicherungen mischen sich hier mit betrieblicher Vernunft: Wer im Krisenfall nicht abgesichert ist, riskiert die Existenz.

Auch im Hintergrund entstehen laufend Kosten: für Verwaltungspersonal, Disponenten, IT-Systeme, Mieten, Energie, Steuerberatung, Schulungen, Fahrerausbildung.
Selbst Krankheitsfälle, Urlaub oder gesetzliche Pausenregelungen bedeuten finanzielle Vorleistungen.

Und während der Lkw auf der Straße rollt, verdienen viele mit: Werkstätten, Tankstellen, Raststätten, Versicherungen, Waschstraßen, Mautbetreiber – sie alle profitieren vom Betrieb des Fahrzeugs.

Doch der Lkw-Fahrer und der Spediteur stehen oft am Ende der Kette. Sie tragen die Hauptlast der Verantwortung – wirtschaftlich wie sozial. Gleichzeitig führt der Straßengüterverkehr zu enormen Belastungen: für Umwelt, Infrastruktur, Gesundheit und Sicherheit.
Die sogenannten „externen Kosten“ – wie CO₂-Ausstoß, Feinstaub, Unfallfolgekosten oder Straßenschäden – zahlt die Allgemeinheit mit.

Auf der anderen Seite sorgt jeder gefahrene Kilometer dafür, dass Regale gefüllt, Betriebe beliefert, Existenzen gesichert werden.
Ohne Lkw bräche ein Großteil unserer Logistikkette zusammen – mit dramatischen Folgen für Einzelhandel, Industrie, Landwirtschaft und letztlich für uns alle.

Im Ergebnis zeigt sich ein deutliches Spannungsfeld: Der Lkw ist unerlässlich – wirtschaftlich gesehen ein großer Multiplikator –, doch die ökonomische und gesellschaftliche Last wird nur unzureichend verteilt.
Während viele Branchen direkt oder indirekt vom Betrieb profitieren, konzentrieren sich die realen Kosten auf wenige Schultern: auf die Fahrer, auf die Unternehmer, auf die Gesellschaft.

Diese Zusammenhänge müssen sichtbar gemacht werden. Nur dann kann eine ehrliche Debatte über faire Rahmenbedingungen, nachhaltige Mobilität und soziale Verantwortung geführt werden – im Interesse aller, die auf Mobilität angewiesen sind.

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Eine Fahrt umsonst

Stichtag ist der 19. August 2025, also in gut elf Wochen. Bis dahin müssen alle Lkw die international, im Amtsdeutsch grenzüberschreitend, unterwegs sind, mit einem Smart-Tachograph der Generation 2, Version 2 umgerüstet werden.
Ausnahmen gibt es keine. Aber hier im Video wird das alles erklärt:

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Bei dem Lkw den ich fahre, sollte das letzte Woche passieren. Der Termin stand seit vier Wochen fest. Passte auch gut, denn ich hatte Urlaub. Nur die Scanianiederlassung hat es, nun ja, verbockt, vergeigt, vermasselt.
Da steht das Teil eine Woche bei denen in der Werkstatt und der Tachograph kann doch nicht gewechselt werden, weil vergessen wurde, irgendein elektronisches Bauteil zu bestellen, welches bis Freitag auch nicht geliefert werden konnte.

Schon doof. Nee, nicht weil der Termin zur Umstellung näher rückt, dass passt schon. Da ist ja noch ein bissel Zeit für. Nur, Freitagvormittag fahr ich normal mit dem Lkw nach Hause.
Kann ich an dem betreffenden Wochenende aber nicht, weil der Lkw ja nochmal in die Werkstatt muss, um den Tacho zu wechseln. Das ist nicht wirklich doll.

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Road Trip

The Chills – Heavenly Pop Hit

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Warten auf den Bus

In einem Dorf in der Nähe von Biedenkopf, also im Hessischen Hinterland, da wo ich Freitags ab und an mal laden muss, gibt es einen gar nicht mal so schlechten Bäckerladen.
Noch besser, kurz hinter diesem Brot- und Kuchengeschäft hat es eine Bushaltestelle, in der ich auch mit dem Lkw gut halten kann. Dauert ja nie lange, denn ein oder zwei belegte Brötchen sind schnell bestellt und bezahlt.

So auch letzten Freitag. Als ich wieder zum Lkw kam, stand da ein älteres Ehepaar mit zwei Koffern und warteten auf einen Bus. Sagt der Mann zu mir, schon ganz aufgelöst: „Sind Sie der Fahrer von dem Lkw?“

Ich antworte „Ja“.
„Ach. Sie müssen hier wegfahren, unser Bus kommt gleich. Nicht das der vorbei fährt, weil der hier nicht halten kann.“
„Ich fahre ja schon weiter, machen Sie sich keine Sorgen. Ihrer Reise stehe ich nicht im Weg.“

Seine Frau hat gelächelt. Sagt sie zu mir, als ich weiter gehe: „Das ist mein Mann. Der ist immer so nervös“. „Das macht nichts“, antworte ich. „Schönen Urlaub.“
Ich hoffe, den werden die beiden haben.

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EU-Kommission gegen Frankreich: Droht jetzt endgültig das Ende von Menschlichkeit auf Europas Rastplätzen?

Von Udo Skoppeck

Die EU-Kommission hat Frankreich offiziell mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht – weil das Land es verbietet, dass Fahrer von kommerziell betriebenen Lieferwagen, im Volksmund Polensprinter genannt, in ihren Fahrzeugen übernachten.

Ein nationales Gesetz, dass dem Schutz der Fahrer dient, soll nun fallen. Frankreich sagt klar, niemand soll gezwungen sein, die Nacht im Laderaum eines Kastenwagens zu verbringen – ohne Heizung, ohne Toilette, ohne Sicherheit.

ein transporter, im volksmund polensprinter genannt, parkt auf dem rasthof eichelborn an der a4 bei erfurt. aufgenommen im oktober 2018.

Die EU-Kommission ist der Meinung, dass wäre Wettbewerbsverzerrung. Man könne nicht hinnehmen, dass Frankreich strengere Vorschriften anwendet als andere Länder.
Aber mal ehrlich: Was sagt das über unsere Werte in Europa aus, wenn das Grundrecht auf würdige Ruhezeiten als „Wettbewerbsnachteil“ gilt?

Was kommt als Nächstes?

Der Transportsektor läuft längst am Limit und statt soziale Mindeststandards zu stärken, wird nun ein Land verklagt, das genau das versucht?
Währenddessen werden die Fahrer in ihren Fahrzeugen gehalten wie Tiere in einem Käfig. Teilweise monatelang unterwegs ohne Unterkunft, ohne Perspektive, für ein paar Kröten.

Der Begriff „Polensprinter“ ist längst nur noch ein Deckmantel, denn gefahren wird von Bulgaren, Ukrainern, Rumänen. Billig, ausgebeutet, rechtlich kaum geschützt.

Und wir? Wir dulden das alles seit Jahren.

Wer trägt die Verantwortung? Der Auftraggeber, der ausbeutet? Oder das Land, welches es zulässt? Vielleicht sollten wir alle mal kurz innehalten und darüber nachdenken.
Denn auch die Polizisten, die das täglich sehen, sind oft machtlos, die Entscheider sitzen weiter oben.

Das sind Geschäftsmodelle, wo der Mensch auf der Strecke bleibt. Es geht um Würde, um Menschlichkeit, um Verantwortung.

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